Als ich die Nachricht über den Tod von Lindbergh im letzten September gelesen habe, war ich ungläubig. Er war mit seinen 74 Jahren noch sehr aktiv. Hatte im Sommer 2019 noch Workshops gegeben, Helene Fischer für die deutsche Ausgabe der Vogue portraitiert (die er bis zur Foto-Session nicht kannte, weil der Hype um Fischer in Paris an ihm vorbei gegangen ist) und seine erste von ihm selbst kuratierte Ausstellung Untold Stories gerade fertiggestellt. Fotografisch und auch menschlich war er sicherlich ein Vorbild für viele. Die Bildsprache von Peter Lindbergh hat mich von Anfang an fasziniert: Er war der erste Modefotograf, der die Mode subtil in den Hintergrund stellte. Auf seinen Fotos stand der Mensch im Vordergrund, seine Persönlichkeit und Ausstrahlung, oft eingebettet in eine Geschichte. Legendär sein Cover-Shoot für die britische Vogue, für das er Naomi Campbell, Cindy Crawford, Linda Evangelista, Tatjana Patitz und Christy Turlington alle gemeinsam auf einer Straße ablichtete und damit den “Supermodel”-Begriff prägte. Oder sein Marsmännchen-Shooting für die italienische Vogue. Beides Anfang der 1990er.
Seine Art, natürliches Licht zu verwenden, die offene Blende, das kontrastreiche Schwarz-Weiß, im Digitalen angelehnt an den gepushten Kodak Tri-X 400 Analogfilm, die Störer im Vordergrund… das alles hat mich selbst fotografisch inspiriert.
Im Kunstpalast Düsseldorf ist Untold Stories derzeit zu sehen. Im Gegensatz zur Ausstellung From Fashion to Reality, die ich im Sommer 2017 in München besucht habe, sind viele seiner Fotos als riesige Tapeten auf Affichenpapier gedruckt worden. Diese sogenannten Bluebacks werden ansonsten zur Plakatierung auf Werbeflächen im Stadtraum verwendet. Diese Art der Präsentation ist atemberaubend beeindruckend. War es wahrscheinlich auch für ihn selbst.
Die Ausstellung umfasst neben bekannten Bildern auch sehr viele, die bislang nicht veröffentlicht wurden. Also seine unerzählten Geschichten, namensgebend für die Ausstellung.
Daneben wird noch eine seiner filmischen Arbeiten präsentiert: Für Testament hat Lindbergh den 1990 in Florida verurteilten Mörder Elmer Carroll zwei Monate vor seiner Hinrichtung gefilmt. 30 Minuten, ohne Schnitt, betrachtet dieser sein Spiegelbild, hinter dem die Kamera positioniert war. Er blickt also dem Betrachter direkt in die Augen. Alle Werke der Ausstellung sind auf Wunsch Lindberghs frei von Beschreibungen, so dass sie ohne Kontextualisierung wirken sollen. So auch dieses Werk, in dem Lindbergh damit völlig wertfrei den Menschen portraitiert und dem Betrachter seine eigenen Gedanken zur Introspektion, Ausdruck, Empathie und Freiheit überlässt.